Von Patenrezepten, Beratung, Methodenkompetenz und der Absichtslosigkeit des Coaches

Es ist doch einfach herrlich, auf ein paar Jahre Erfahrung zurückblicken zu können: Die eine oder andere Methode hat man als Berater so drauf, ganz viele weitere für den Ernstfall schon mal ausprobiert und noch viel mehr Methoden stehen im Bücherschrank oder sind als Bookmark abrufbar. Zudem haben wir Ausbildungen als systemische Coaches, NLP Practitioner oder Facilitator in der Tasche und neben uns somit zu Recht ‚Coaches’. Eigentlich ist es doch jetzt an der Zeit, daraus Patentrezepte zu schaffen und zu Topp Tagessätzen zu vermarkten, oder etwa nicht?

Nun, sicher ist es nur legitim, wenn Berater (so wie ich selbst natürlich auch) aus ihren Lehrjahren auch ersten wirtschaftlichen Nutzen ziehen und vernünftig von ihrer Arbeit leben wollen. Ist es deshalb aber gerechtfertigt, unseren Auftraggebern diese Methoden als Patentrezepte für alle erdenklichen Bereiche ihres Geschäfts in den Hals zu schieben? Oder gar, wie nicht so selten zu hören, ausgehend von einem ursprünglichen Auftrag für ein Team oder einen Unternehmensbereich nun alle möglichen Bereiche einer Organisation mit dem Methoden-Heil der Agilität nach Guerilla Art zu infiltrieren?

Hier wird vielleicht bei einigen Unternehmen die Begleitung der Einführung agiler Arbeitsweisen durch konsequente Organisationsentwicklung versäumt. Denn so wäre es zu erklären, dass die Vermittler agiler Methoden teils ungefragt und oftmals massiv auf Kultur und Organisation ihrer Auftraggeber einwirken und ein Sammelsurium agiler Methoden als Patentrezepte auf allen Gebieten des Unternehmens ausbringen. Dass Berater hin und wieder vergessen dürfen, wann die Haltung eines Coaches angebrachter wäre: die Haltung des Nichts-Wissen, Nichts-Wollen und absichtslos in dem Sinne sein, dass der Coach nicht zu seiner selbst bevorzugten Handlung oder Wahrnehmung hin beeinflussen möchte, sondern die eigenen Fähigkeiten seines Klienten aktivieren. Ein Vakuum will eben gefüllt werden!

Dabei ginge es doch auch anders. Die Entwicklung der Organisation könnte als fortlaufender Prozess durch ein Team von Menschen begleitet werden, die einen guten Querschnitt der gesamten Organisation repräsentieren. Dafür können sich solche Querschnitt-Teams selbstverständlich immer wieder Hilfe von aussen holen. Zusätzlich müsste eben auch die Art einer solchen Hilfe sinnvoll differenziert werden. Eine solche Unterscheidung kennt etwa:
* Begleiter des OE Prozesses selbst, die keine eigenen Absichten oder Lösungen mitbringen sondern nur durch den OE Prozess führen -> Lösungsebene Organisations-Coach
* Impulsgeber und Inspirationsgeber für die verschiedensten – auch agilen – Methoden, die möglicherweise zum Einsatz kommen können sowie Trainer und Berater für die Einführung und Erprobung dieser jeweiligen Methoden -> Lösungsebene Methoden-Berater
* Coach zur Begleitung Einzelner im Umgang mit Veränderungen -> Lösungsebene Personal-Change-Coach

Idealerweise sollten die Rollen von Berater und Coach dabei nicht beliebig vermischt werden, denn wie glaubwürdig wäre die Rolle des Coaches in der Organisations-Entwicklung, wenn sie gleichzeitig etwa in einem Team als Beraterin eine (agile) Methode einführt? Oder wie neutral kann ein Coach einer Mitarbeiterin gegenüber als Change-Coach sein, wenn er gleichzeitig für die Einführung jener Methode beauftragt wurde die der Mitarbeiterin den Schmerz bereitet?

Damit diese Grenzziehung zwischen den verschiedenen Rollen funktionieren kann müssen diese natürlich allseits verstanden werden und auch besetzt sein. Schließlich soll ja ein Aufgaben-Vakuum als Grund für die Überschreitung der verschiedenen Rollen vermieden werden.

Hier zeigt sich aus meiner Ansicht nun ein großer Vorteil eines erfahrenen Beraters / Coaches: Er erkennt, zu welcher Lösungsebene welche Methode und welches Vorgehen passt und kann daher aus seiner jeweiligen Rolle sinnvoll Grenzen ziehen und dadurch besser kooperieren. Damit kann ein erfahrener Berater / Coach die Organisationsentwicklung unter anderem dadurch unterstützen, Methoden vielleicht auch einmal nicht (selbst) anzuwenden. Eine erfahrene Beratung kann so möglicherweise mit geringerem Zeit-Einsatz sogar ein werthaltigeres Ergebnis für ihren Kunden erzielen.

Um der Unterschiedlichkeit der Rollen und damit meines Auftretens entsprechend zu würdigen, habe ich mich entschieden, meinen Auftritt als Coach von meinem Auftritt als Berater zu agilen IT-Aufgaben und Interimsmanager zu trennen und unter coach4agile.de zu präsentieren.